Wenn die Polen über sich selbst nachdenken, finden sie, dass sie sich sehr auf die Geschichte ihrer Nation konzentrieren. Sie glauben, dass Geschichte für sie wichtig ist. Oft so wichtig, dass sie ihnen Gegenwart und Zukunft verdeckt. Dieses Stereotyp ist auch Ausländern nicht unbekannt, die ihre Meinungen zu Polen und den Polen sagen.

In der Tat ist Geschichte für die Polen wichtig. Das in den ersten Sätzen beschriebene Autostereotyp entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Das Massaker von Wola, eines Stadtteils der Hauptstadt Polens, liefert ein Beispiel dafür. Dies war ein außergewöhnliches Ereignis, sogar vor dem Hintergrund der schwierigen Geschichte der Polen. Innerhalb weniger Tage wurden mehrere tausend Menschen ermordet ‒ fast ausnahmslos Zivilisten. Die meisten von ihnen waren Frauen, Kindern und Greise. Das Verbrechen fand in der Hauptstadt statt. Die Täter verbargen es nicht. In späteren Jahren ‒ als Polen von Kommunisten regiert wurde ‒ verbot die staatliche Zensur dieses Thema nicht: Von Zeit zu Zeit erschienen in der Nachkriegszeit Erinnerungen und Berichte. Trotzdem wurde dieses singuläre Ereignis ‒ singulär in der polnischen Geschichte und (abgesehen von dem Holocaust) im Vergleich zu den Verbrechen, die im Zweiten Weltkrieg an der Zivilbevölkerung im besetzten Europa begangen wurden ‒ von der Öffentlichkeit ignoriert. So geschah es sowohl in Polen als auch im Ausland. Mein Buch ist nicht nur eine Beschreibung von Ereignissen, sondern auch ein Versuch, die Frage nach diesem erstaunlichen Phänomen der Vergessenheit und der Verdrängung zu beantworten.

Im heutigen Polen interessieren sich Menschen, die viele Jahre nach dem Krieg geboren wurden, zunehmend für diese Tragödie. Dies ist ein respektvolles Zeichen dafür, dass sie das Vergessen verweigern, ebenfalls ein Zeichen des authentischen Mitgefühls mit dem Leiden. Auch der von ihnen geäußerte Wunsch nach einer zumindest partiellen Wiedergutmachung muss erwähnt werden ‒ die Verantworlichen für dieses Verbrechens sind ja nicht bestraft worden und ihre Opfer blieben lange Jahre auf sich allein gestellt. So gut wie keiner erinnerte an die Ermordeten, und denen, die auf wundersame Weise überlebten, half kaum jemand.

Wir stehen jedoch erst am Anfang des Weges, um an das Verbrechen vom August 1944 würdevoll zu erinnern. Ich vermute, dass die Lektüre dieses Buches für den deutschen Leser nicht einfach sein wird. So sah es aber aus. Ich hoffe, dass der deutsche Leser dank dieser Arbeit Polen und die Polen besser verstehen wird. Ignoranz und Verschweigen dienen den guten Beziehungen zwischen den Nachbarn nicht. Das Thema ist schwierig und sehr schmerzhaft, aber gerade deshalb ist es besser darüber zu reden, als weiterhin zu schweigen.

Piotr Gursztyn